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Plastics Europe bestätigt: Fossilbasiertes Plastik ist nicht für die Kreislaufwirtschaft geeignet.

Plastics Europe D, der Verband der Kunststofferzeuger in Deutschland, hat gegenüber geht ohne e.V. bestätigt, dass herkömmlicher Kunststoff nicht für Recyclingkreisläufe geeignet ist.

“Polymerketten können nicht unendlich lang im Kreis geführt werden”, bestätigt der Verband auf Twitter.

Biobasierte Materialen müssten anstelle erdölbasierter Rohstoffe zum Einsatz kommen, und in diese Richtung bewege sich die Branche.

Das ist neu; nicht das fachliche Wissen ansich, sondern dass einer der führenden europäischen Wirtschafts- und Industrieverbände dies öffentlich eingesteht.

 

Hintergründe der Kunststoffproduktion

EU-weit arbeiten mehr als 1,5 Millionen Menschen in ca. 53.000 Unternehmen der Kunststoffindustrie; weniger als 2% davon beschäftigen sich mit Recycling. Die Branche hat ein Problem: Mehr als 6 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle produzieren Betriebe und Endverbrauchende alleine in Deutschland jedes Jahr, mehr als die Hälfte davon sind Plastikverpackungen.

Nach dem enorm aufwändigen und teuren Recycling bleibt nur wenig übrig: Mehr als 50% des Kunststoffs werden in Deutschland verbrannt, mehr als 12% werden exportiert, ein kleiner Teil wird zu Rezyklaten verarbeitet. Letztere machen dann nur ca. 14-15% der Kunststoffneuware in Deutschland aus, nur aus ungefähr der Hälfte davon werden tatsächlich gleichwertige Produkte.

 

Das Problem mit Kunststoff

Es muss sich was ändern: Die Umweltbelastung durch Kunststoff nimmt enorm zu; und wir stehen erst am Anfang. Mehr als 79% des jemals auf der Erde produzierten Plastiks befindet sich Schätzungen zufolge noch in der Umwelt und zerfällt über Jahrzehnte und Jahrhunderte zu Mikroplastik. So gelangt es in Umwelt- und Nahrungsmittelkreisläufe, die Auswirkungen sind noch weitestgehend unbekannt. Klar ist jedoch, dass Plastik mehr als 2.000 verschiedene Chemikalien enthält, vor allem Weichmacher, viele sind potenziell gesundheitsschädlich oder riskant.

 

Recycling als vermeintlicher Ausweg

Die Lösung sieht die Industrie nun in Kunststoffkreisläufen; “Ressourcenschonendes Wirtschaften und Klimaschutz” nennt das der Lobbyverband Plastics Europe auf seiner Homepage.

Dabei sind sowohl die fossilbasierte Kunststoffherstellung als auch das Recycling extrem aufwändig und teuer. Milliardensummen betragen alleine die Lizenzgebühren der Dualen Systeme, das Recycling wird immer teurer. Zudem hat Plastik weniger ein CO2-, sondern mehr ein Umweltverschmutzungsproblem. Recycling hat einen eher geringen Einfluss auf die gesamten CO2-Emissionen von Plastik, da die wesentlichen Belastungen mit ca. 70-80% bereits bei der Rohstoffgewinnung entstehen. Global betrachtet muss man die Emissionswerte sogar noch verdoppeln, da die kohlebasierten Volkswirtschaften sehr viel mehr schmutzige Energie für die Produktion einsetzen. Daher sind Plastikvermeidung, Mehrweg und Substitution sehr viel effektiver für die CO2-Reduktion, als das aufwändige Recycling.

“Das Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, Kunststoffe so effizient und lange wie möglich zu nutzen und anschließend wieder zurückzugewinnen”, erläutert der Verband.

Gerade das ist aber höchst ineffizient und technisch kaum möglich, wie Vertreter:innen von Plastics Europe nun selbst bestätigt haben.

Die meisten Kunststoffe können nur in sehr geringem Umfang wiederverwendet werden; mehr als 30 Jahre Erfahrung aus den bisherigen Kreislaufansätzen und -systemen zeigen das deutlich.

 

Die vier größten Probleme und warum Recycling das Plastikproblem nicht lösen kann

 

1. Hohe Verluste

Beim Recyclingprozess fallen enorm viele wertlose Abfälle an, Verschmutzungen, Verbundstoffe, Gifte, Fehlwürfe, Produktdesign oder Umschlagverluste verursachen große Einbußen. Neu ist das nicht; dass es über Jahrzehnte nicht besser geworden ist, liegt vor allem daran, dass das Problem bislang nicht die Hersteller, sondern Verbrauchende und Entsorger ausbaden mussten.

2. Geringe Qualität

Verschiedene Einschätzungen zeigen, dass nur ca. 3-7% der Rezyklate für gleiche oder gleichwertige Produkte eingesetzt werden. Zudem eignen sich sehr viele Kunststoffprodukte nicht gut für Rezyklate, wie die Industrie selbst erläutert. In diese ohnehin geringen Zahlen fließen auch noch die vergleichsweise hohen Recyclingquoten von PET-Wasserflaschen ein: Deren Wiederverwendung liegt immerhin bei ca. 37% und damit bilden sie das gern zitierte Paradebeispiel der Kunststoffindustrie. Dabei sind gerade Einweg-Wasserflaschen größtenteils überflüssig und lassen sich leicht durch Mehrwegalternativen ersetzen.

3. Wenig Durchläufe

Selbst wenn Kunststoffe in einen Kreislauf gelangen und zu einem neuen Produkt werden, besteht dieses nur sehr selten aus 100% Rezyklat: gewöhnlich werden zwischen 20-80% Neuplastik zugesetzt. Und spätestens dann ist meistens Schluss: diese Kunststoffe lassen sich nur selten ein weiteres Mal verwenden oder ihre Mischung und Qualität ist so schlecht, dass sie niemand mehr verarbeiten will. Für Lebensmittel dürfen Rezyklate ohnehin aufgrund der toxikologischen Risiken nur in selten Fällen eingesetzt werden, weltweit eignen sich nur ca. 10-11% der dekontaminierten Rezyklate für den Kontakt mit Lebensmitteln. Mit anderen Worten: Selbst bei den wenigen Kunststoffen, die es tatsächlich in eine Wiederverwendung schaffen, endet der Kreislauf nach ungefähr 1-2 Durchgängen. Damit dürfen sich alle diese Kunststoffe und Produkte auch nicht nachhaltig nennen.

4. Wirtschaftlich uninteressant

Recycling ist nicht nur ein technisches Problem, sondern vor allem ein wirtschaftliches: Rezyklate sind für die Industrie zu teuer, zu minderwertig und schwer zu beschaffen. Warum auch sollten Unternehmen Rezyklate einsetzen, wenn sie es nicht müssen und Neuplastik deutlich günstiger und hochwertiger ist.

 

Kreislaufwirtschaft ist grundsätzlich kein schlechtes Konzept, im Gegenteil

Das neudeutsch “Circular Economy” genannte Prinzip ist vor allem in den Industrieländern gut beschrieben und unter anderem auch in die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung eingebettet. Zu den Leitsätzen der Kreislaufwirtschaft gehört das Ziel, die Bewirtschaftung von Materialien in möglichst gleich- oder höherwertigen Kreisläufen abzubilden. Das Inverkehrbringen von Stoffen, von denen Beeinträchtigungen des Allgemeinwohls – insbesondere für die menschliche Gesundheit sowie die Umwelt – ausgehen, ist zu vermeiden.

 

Traditionelle Kunststoffe eignen sich nicht

Diese und weitere Anforderungen kann herkömmliches fossilbasiertes Plastik nicht bzw. nicht ausreichend erfüllen und eignet sich damit nicht für eine Kreislaufwirtschaft; nicht in Deutschland, auch nicht in Europa und schon gar nicht weltweit.

Obwohl jedes Jahr technische Fortschritte beim Recycling und vor allem beim Verpackungsdesign gemacht werden, bewegen sich die Zuwächse von Jahr zu Jahr im einstelligen Prozentbereich. Gleichzeitig nimmt die weltweit produzierte Kunststoffmenge deutlich stärker zu. Es entsteht also keine Verbesserung und auch kein Umwelt- oder Klimaschutz, sondern lediglich eine leicht geringere Schädigung derselben. Das kann nicht Klimaschutz genannt werden, wie es die Marketingabteilungen der Kunststoffverbände und Entsorger seit ca. 1,5 Jahren verstärkt tun.

 

Biobasierte Alternativen fraglich

Auch biobasierte Kunststoffe sind keine gute Alternative, solange sie sich ebenso wenig recyceln oder nicht natürlich abbauen lassen. Immerhin verzichten sie auf fossile Rohstoffe, die zu den größten Klima- und Umweltbelastungen gehören. Da sie aber mit dem Stand der heutigen Technik fast immer verbrannt werden müssen, eignen sie sich gewöhnlich nicht für ein Kreislaufsystem.

Jedoch: Die Verfügbarkeit an biobasierten und biologisch abbaubaren Hochleistungs-Alternativen wächst. Flexible und industrietaugliche Kunststoffe, die ausschließlich aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden, vielfältig nutzbar sind und anschließend in natürliche Kreisläufe zurückgeführt werden können, nehmen zu. Diese Innovationen kommen unter großen Anstrengungen bislang aber fast ausschließlich aus den Reihen der Startups und Universitäten. Die großen Industrieunternehmen sind weit weniger innovativ, obwohl sie seit Jahrzehnten millionenschwere Forschungsetats auflegen. Sie forschen eben in die falsche Richtung.

Weniger als 2% beträgt der Anteil biologischer Alternativen derzeit. Der Protektionismus der traditionellen Industrie verhindert die Übernahme von Innovationen weitestgehend. Selbst wenn der Anteil von Biokunststoffen deutlich höher wäre, verfügen wir heute in Deutschland und auch anderswo nicht über die notwendige Entsorgungs- und Verwertungsinfrastruktur. Änderungen sind kaum in Sicht.

Dennoch gehört den fossilfreien Rohstoffen die Zukunft und für echte Nachhaltigkeit sind sie Voraussetzung sowie erster und letzter Schritt in einer langen Kette von Teilprozessen und Kreisläufen.

Ohne Recycling geht es nicht. Recycling ist aber nicht das Wichtigste.

 

Sechs Empfehlungen, wie es besser geht

 

1. Vermeidung fördern

Um CO2 und Umweltverschmutzungen zu senken, müssen sofort überflüssige und nicht recycelbare Kunststoffe konsequent vermieden und notfalls besteuert oder reglementiert werden. Schätzungen von geht ohne e.V. zeigen, dass mit nur 10% weniger Plastikproduktion und Konsum mehr als doppelt so viel CO2 und Müll eingespart werden kann, wie durch das gesamte deutsche Recycling. Von den Kosteneffekten ganz zu schweigen.

2. Markt stärker regeln

Die der Industrie bislang überlassene Eigenverantwortung hat sich als nicht erfolgreich herausgestellt. Abgesehen von der inflationären Nutzung der Worte Nachhaltigkeit und Klimaschutz sowie dem Einsatz sehr viel grüner Farbe im Marketing ist trotz riesiger Aufwände nur wenig passiert.

3. Fossile Rohstoffe durch biologische ersetzen

Plastikfreie und/oder biobasierte Mehrwegsysteme müssen Produktion, Logistik, Handel und Verbrauch ermöglichen, und zwar über die Landesgrenzen hinweg. Denn beim Exportweltmeister Deutschland nutzt es nur wenig, wenn nur 20% der Produktion und Produkte eines Unternehmens überhaupt in Deutschland und dessen Recyclingsystem landen und 80% im deutlich schlechter ausgestatteten Ausland.

In vielen Fällen kann herkömmliches Plastik durch alternative und umweltverträgliche Stoffe ersetzt werden, beispielsweise Papier, Metall, Glas oder Stoff. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass nicht alle Alternativen auch gleichzeitig besser für Mensch und Umwelt sind.

4. Recycling für Mehrweg einsetzen

Mehrwegbehälter und -verpackungen müssen nach dem Ende ihres Lebenszyklus vollständig recycelt oder abgebaut werden können.

5. Herstellerhaftung erhöhen

Wo auf traditionelle Kunststoffe (noch) nicht verzichtet werden kann, müssen die Verpackungen und/oder der Kunststoff selbst in geeigneter Weise markiert und nachverfolgbar werden, bspw. nach dem Vorbild der Viehwirtschaft. Das hört sich einfach an, die Kunststoffindustrie in Deutschland hinkt bei der Digitalisierung aber aufgrund von Überalterung, fehlendem Druck und mangelhaftem Know-how viele Jahre hinterher. Diese gekennzeichneten Kunststoffe dürfen nach der Nutzung nicht beim Recycler oder in der Verbrennung landen, sondern müssen zum Hersteller zurück, wie beim Vorbild des Pfandsystems. Die Hersteller müssen die Kunststoffe dann selbst wiederverwenden oder auf eigene Kosten fachgerecht entsorgen, wenn sie nicht mehr genutzt werden können. Hohe Wiedereinsatzquoten senken dabei die Besteuerung (und nicht umgekehrt).

6. Bestehende Gesetze durchsetzen

Die im durchaus innovativen deutschen Verpackungsgesetz vorgegebenen Mehrwegquoten müssen auch erreicht, kontrolliert und bei Nichtbeachtung empfindlich bestraft werden. Diese einfache Maßnahme ist logisch, jedoch erstaunlicherweise nicht gelebte Praxis. So hat der Handel beispielsweise die klare gesetzliche Pflicht, eine Mehrwegquote von 70% im Bereich der Getränkeverpackungen zu erreichen. Aldi und Lidl hingegen böten gar keine Mehrwegflaschen an, lägen also bei 0%, ermittelte die Deutsche Umwelthilfe noch im Juni 2022. So ein Verhalten muss von Amts wegen bestraft werden.

 

Fazit

Recycling und herkömmliche Kunststoffkreisläufe sind technisch nicht unmöglich, in der Praxis jedoch zu aufwändig, teuer, ineffizient und wenig bis gar nicht nachhaltig. Das Problem ist nicht nur das fürs Recycling wenig geeignete fossilbasierte Plastik, wie Plastics Europe und damit die Industrie selbst bestätigt, sondern auch der insgesamt bislang mangelhafte Wirtschafts- und Verantwortungsprozess selbst.

In der Zukunft muss Recycling vor allem dazu dienen, normierte, geeignete und unschädliche Mehrwegsysteme zu erneuern oder in die Natur zurückzuführen.

Sofort müssen wir auf überflüssige, giftige und nicht ersetzbare Kunststoffe weitestgehend verzichten. Wo das nicht möglich ist, muss eine umfassende Hersteller- und Handelshaftung greifen, und zwar international.

 

Und die Verbrauchenden?

Abschließend stellt sich die Frage, ob nicht auch die Konsumierenden eine Verantwortung tragen, und wenn ja, welche. Schließlich verweist vor allem die Industrie stets gerne auf die Versäumnisse und mangelnde Verantwortung der Verbrauchenden, bspw. beim Littering, der Mülltrennung oder dem Konsumverhalten selbst.

In einer Kreislaufwirtschaft tragen alle Agierenden innerhalb von Produktlebenszyklen und entlang von Wertschöpfungsketten eine Verantwortung für das Erreichen der Ziele der Kreislaufwirtschaft. Hier sind also die Verbrauchenden ausdrücklich eingeschlossen.

Industrie und Handel haben ihre Kund:innen jedoch über Jahrzehnte durch Marketing, Psychologie und verborgene Verarbeitungssysteme zu Sorglosigkeit, Unwissenheit und Verantwortungslosigkeit erzogen, um den Konsum barrierefrei und maximal zu fördern.

Dadurch ist eine tiefe Konsum- und Wegwerfkultur entstanden, die nun sowohl ethisch als auch praktisch nur schwer umzukehren ist, ohne die Absatz- und Wachstumsziele der Industrie zu gefährden.

Hinzu kommt, dass Menschen sehr viele Fehler machen und sich stark von dem Drang nach Bequemlichkeit, Genuss und Einfachheit leiten lassen. Es ist daher unmöglich, einen ausreichend hohen Aufklärungs- und Qualitätsgrad beim humanen Verhalten zu erreichen, wie er für die theoretischen Annahmen der Industrie vonnöten wäre.

Deswegen kann und wird ein Recyclingmodell nach heutigen Vorstellungen nie einen ausreichenden Qualitäts- und Effizienzgrad erreichen.

 

Liefer- und Leistungsverpflichtung der Industrie

Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, wer die gigantischen Aufwände des Recyclings und der Müllentsorgung bezahlt: Es sind ausschließlich die Verbrauchenden, die über Produktpreise, Entsorgungsgebühren sowie Steuern das gesamte ineffiziente und veraltete System der Kunststoffverwertung finanzieren. Und es bleibt ihnen dabei keinerlei Wahl. Aus diesem Grund trifft die Verbrauchenden nur eine geringe Schuld an der heutigen strukturellen Misere; immerhin bezahlen Sie die Industrie, den Staat und den Handel vorzüglich dafür, dass solche Umweltprobleme vermieden und Prozesse verändert werden.

Das entbindet die Konsumierenden nicht von der Pflicht, Müll verantwortungsvoll zu entsorgen, befreit sie aber von der Verantwortung für Produktion, Logistik und Verpackungen.

Dass darüber hinaus Verbrauchende mehrheitlich willens und in der Lage sind, alternative und umweltfreundliche Verpackungs- oder Mehrwegsysteme zu nutzen, belegen Studien schon seit vielen Jahren.

Über den Autor:

Bernd Günter

Bernd Günter
Bernd ist Vorstand und einer der Gründer von geht ohne e.V. und setzt sich vor allem für Innovationen und Umdenken in Wirtschaft, Industrie und Handel ein. Er ist überzeugt davon, dass alle großen und kleinen Unternehmen zuvorkommend ihren Beitrag zum Umweltschutz und vor allem zum Wandel leisten müssen.

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